Anwalt Sozialrecht Berlin: Hartz-4-Sanktionen

Sozialrechtliche Sanktionen – Was können Sie dagegen tun?

Beim Arbeitslosengeld II (Hartz 4) gibt es bei Pflichtverletzungen im Gegensatz zur früheren Arbeitslosenhilfe keine Sperrzeiten mehr, sondern Kürzungen und Streichungen Ihrer Leistung. Diese sind unterschiedlich je nach dem Alter des Leistungsberechtigten. Am härtesten sind die Sanktionen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 25 Jahren.

Sozialrechtliche Sanktionen bei Personen über 25 Jahre

Es gibt verschiedene Stufen von sozialrechtlichen Sanktionen. Eine Kürzung oder Streichung dauert, egal auf welcher Stufe, immer drei Monate.

Der Regelsatz wird um 30% gekürzt, wenn Sie

  • eine in der Eingliederungsvereinbarung oder im Eingliederungsverwaltungsakt festgelegte Pflicht nicht erfüllen,
  • sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit oder eine geförderte Arbeitsstelle „aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch Ihr Verhalten verhindern“,
  • eine zumutbare Eingliederungsmaßnahme „nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben“ (§ 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II).

Wenn Sie Innerhalb eines Jahres nach Beginn einer Sanktion zum zweiten Mal eine der oben genannten Verstöße begehen, wird der Regelsatz um 60% gekürzt (§ 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II).

Wenn Sie dann zum dritten Mal gegen eine der oben genannten Auflagen verstoßen, wird der Regelsatz um 100% gekürzt, d.h. Sie erhalten kein Hartz 4 mehr (§ 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II).

Beispiel: Am 10. Februar können Sie bei einem Termin mit dem Arbeitsvermittler nicht genügend Bewerbungsnachweise erbringen. Ihr Hartz 4 wird für März, April und Mai um 30% gekürzt. Am 16. Juni lehnen Sie einen Minijob ab. Ihre Leistung wird daraufhin vom 01. Juli bis 30. September um 60% gekürzt.

Sozialrechtliche Sanktionen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 25 Jahren

Die Sanktionen bei Personen unter 25 Jahren sind wesentlich härter.

Schon bei einem ersten Verstoß wird der Regelsatz komplett auf Null gekürzt und auch Mehrbedarfszuschläge für Schwangere, Alleinerziehende oder Krankenkost und alle anderen Ansprüche auf einmalige Leistung gestrichen (§ 31a Abs. 2 Satz 1 SGB II). Das Einzige, was Sie noch bekommen, sind Leistungen für Unterkunft und Heizung, die aber von der Behörde direkt an den Vermieter, Energieversorger oder andere Empfangsberechtige, z.B. die Eltern, überwiesen werden können.

Tipp: Die Behörde kann Ihnen bei einer vollständigen Kürzung ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen „in angemessenem Umfang“ gewähren (§ 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II). Sie müssen hierfür jedoch einen Antrag beim Jobcenter stellen.

Tipp: Außerdem kann die Behörde die Kürzung Ihrer Leistung unter bestimmten Umständen auf sechs Wochen beschränken (§ 31b Abs. 1 Satz 4 SGB II). Machen Sie Ihren Ansprechpartner im Jobcenter darauf aufmerksam!

Bei einem zweiten Verstoß innerhalb eines Jahres nach Beginn einer Sanktion werden Ihnen sogar die Leistungen für Unterkunft und Heizung gestrichen.

Tipp: Wenn Sie sich nachträglich bereit erklären, Ihren Pflichten nachzukommen, können die Kosten im Einzelfall wieder übernommen werden (§ 31a Abs. 2 Satz 4 SGB II). Außerdem können Sie einen Antrag stellen, dass Ihnen zumindest Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbracht werden (§ 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II). Die Behörde darf Ihnen das bei einer Sanktion auf Null nicht verweigern!

Bei Meldeverstößen, d.h. wenn Sie sich ohne „wichtigen Grund“ und „trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis“ nicht bei Ihrem Jobcenter melden oder nicht zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin erscheinen, bekommen Sie 10% weniger vom Regelsatz (§ 32 Abs. 1 SGB II). Dies gilt für alle Person, egal ob sie über oder unter 25 Jahre alt sind.

Eine Eingliederungsvereinbarung ist ein Vertrag, den man nicht unterschreiben muss. Sie haben immer das Recht, einen Alternativvorschlag vorzulegen. Wenn das Jobcenter darauf nicht eingeht und Sie nicht unterschreiben, wird es einen Eingliederungsverwaltungsakt erlassen – gegen den können Sie dann Widerspruch erheben.

Tipp: Wenn Sie wissen, dass Sie sich an die Punkte in der Eingliederungsvereinbarung nicht halten können, unterschreiben Sie sie nicht einfach so. Sie haben keine Pflicht, die Vereinbarung zu unterschreiben.

Wichtig: Eine Sanktion ist immer nur dann rechtmäßig, wenn davor ein Sanktionsbescheid erlassen wurde.

Wann und wie haben Sie den Bescheid über die Sanktion erhalten?

Der Sanktionsbescheid muss innerhalb von höchstens sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung erlassen werden.

Beispiel: Ihr Verstoß war am 20. März. Wenn Sie bis zum 21. September keinen Bescheid über eine Sanktion erhalten, ist die Sache verfristet. Ihre Leistung darf wegen der Pflichtverletzung vom 20. März nicht mehr gekürzt werden.

Eine Sanktion, also die Kürzung oder Streichung Ihrer Hartz 4-Leistung, beginnt immer mit dem Monat, der dem Monat nachfolgt, in dem Ihnen der Sanktionsbescheid zugeht. Zugehen heißt, dass Ihnen der Bescheid mit Zustellung bekannt wird.

Beispiel: Der Sanktionsbescheid ist vom 05. Mai, am 8. Mai wird er Ihnen bekannt. Die Sanktion beginnt dann am 01. Juni und dauert bis 31. August. Eine sofortige Kürzung im Mai ist rechtswidrig.

Tipp: Legen Sie gegen einen rechtswidrigen Sanktionsbescheid Widerspruch ein. Auch wenn die Widerspruchsfrist schon abgelaufen ist, können Bescheide außerdem bis zu einem Jahr rückwirkend mit einem Nachprüfungsantrag angegriffen werden.

Tipp: Das Jobcenter muss immer beweisen, dass ein Schreiben Ihnen zugegangen ist. Wenn der Sanktionsbescheid auf dem Postweg verloren geht oder Ihnen aus anderen Gründen nicht zugegangen ist, können Sie den Zugang bestreiten. Einen Beweis für den Zugang hat die Behörde nur, wenn Sie den Bescheid per Einwurf-Einschreiben versendet hat (gelber Brief). Das geschieht in der Realität aber nur in Ausnahmefällen. Das kann ein großer Vorteil für Sie und Ihren Anwalt sein.

Wurden Sie vorher über die Folgen eines Verstoßes belehrt?

Eine weitere Voraussetzung für eine Kürzung oder Streichung der Leistung ist, dass Sie zeitlich vor der Sanktion in schriftlicher, bei Bedarf zusätzlich in mündlicher Form über die Rechtsfolgen belehrt wurden oder dass Sie Kenntnis der Rechtsfolgen hatten (§ 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Belehrung heißt: Es muss Ihnen „konkret, verständlich, richtig und vollständig“ erklärt werden, was von Ihnen verlangt wird und welche Auswirkungen ein Verstoß für Sie haben kann (BSG 15.12.2010 – B 14 AS 92/09 R, abrufbar unter http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art= en&Datum=2010-12&nr=11917&pos=2&anz=10).

Wenn Sie dagegen z.B. nur auf eine allgemeine Beschreibung der Rechtsfolgen in der Eingliederungsvereinbarung verwiesen werden oder man Ihnen bei Leistungsbeginn eine abstrakte Infobroschüre mitgibt, ist das meist keine ausreichende Belehrung (BSG 18.02.2010 – B 14 AS 53/08 R, SG Landshut 16.08.2011 – S 10 AS 536/11 ER). Sie müssen „positive, aktuelle Kenntnis haben, welche konkreten Folgen eine Pflichtverletzung hat (Berlit 2011, 55, abrufbar unter http://www.info-also.nomos.de/fileadmin/infoalso/ doc/Aufsatz_infoalso_11_02.pdf).

Tipp: Wenn die Rechtsfolgenbelehrung ungenau ist, können Sie Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid einlegen und klagen. Die Behörde muss nachweisen, dass Sie Kenntnis von den Folgen eines Verstoßes hatten oder dass die Belehrung rechtmäßig war Wichtig: sie müssen bei einem Widerspruch die Einsetzung seiner aufschiebenden Wirkung beantragen.

Tipp: Nach Ablauf der Widerspruchsfrist können Bescheide immer noch mit einem Nachprüfungsantrag angegriffen werden.

Wurden Sie vor Erlass des Sanktionsbescheides angehört?

Vor dem Erlass des Sanktionsbescheides müssen Sie immer angehört werden. Das heißt: Sie müssen die Möglichkeit bekommen, sich zu Ihrer Pflichtverletzung zu äußern. Geschieht dies nicht, ist der Bescheid rechtswidrig. Sie können dann Widerspruch dagegen erheben und bis zu einem Jahr rückwirkend mit einem Nachprüfungsantrag gegen den Bescheid vorgehen.

Was passiert bei mehreren zeitgleichen Pflichtverletzungen?

Bei mehreren zeitgleichen Pflichtverletzungen darf das Jobcenter Ihre Leistung trotzdem nur einmal kürzen. Erneute Kürzungen in der nächsten Stufe können erst erfolgen, wenn wegen des vorherigen Verstoßes bereits ein Sanktionsbescheid erlassen worden ist (BSG 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R, abrufbar unter http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&Datum=2010&nr=11864&pos=5&anz=262).

Wie können Sie sich gegen den Sanktionsbescheid wehren, wenn Sie nicht „einfach so“, sondern aus einem bestimmten Grund gegen ihn verstoßen haben?

Eine Sanktion ist immer rechtswidrig, wenn Sie einen wichtigen Grund für Ihr Verhalten hatten. Wichtig: Sie müssen diesen Grund nachweisen können.

Beispiele für einen „wichtigen Grund“:

  • Die Bezahlung für den Job war sittenwidrig.
  • Die Maßnahme war unzumutbar.
  • Es wurden überzogene Bewerbungsbemühungen von Ihnen verlangt.

Es gibt darüber hinaus viele weitere Gründe, die einen Verstoß rechtfertigen können. Die Kürzung des ALG II ist dann rechtswidrig.

Tipp: Erklären Sie ihrem Fallmanager den wichtigen Grund immer unaufgefordert, möglichst sofort und am besten schriftlich. Je mehr Zeit vergeht, desto schwerer kann man das Problem im Nachhinein beweisen.

Bei der dritten Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres wird das gesamte Hartz 4 um 100% gekürzt. Das heißt, Sie bekommen für drei Monate gar keine sozialrechtliche Leistung mehr, auch keine Leistungen für Heizung und Unterkunft, keinen Mehrbedarf und keine Krankenversicherungsbeiträge.

Tipp: Es könnte bald eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber geben, ob solche hohen Sanktionen gegen die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz) und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz) verstoßen (http://www.sggth.thueringen.de/webthfj/webthfj.nsf/DEEA9CFA0821658FC1258004003605D5/$File/PM%20Vorlage.BVerfG.pdf?OpenElement). Daran müssten sich dann alle Behörden und Gerichte halten. Legen Sie also gegen eine Sanktion über 30% Widerspruch ein und stellen Sie einen Antrag, das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ruhend zu stellen.